Der "Hellseherkrieg" ...

Quelle:

Tagesanzeiger

Datum:

24.02.2005

Psychokrieg auf den höheren Ebenen

 

Über 400 000 Franken zahlte eine Frau einem Hellseher für telefonische Beratung. Dann brach der «Krieg» aus, wie der Anwalt des Hellsehers vor Gericht ausführte.

Von Hugo Stamm

Die irrsten Geschichten schreibt das Leben. Zu diesem Schluss kamen die Beobachter eines Prozesses vor dem Bezirksgericht am Mittwoch. Das «Kriegsgeschehen» (Anwalt des Angeklagten) liess sich kaum entwirren, weil viele Haupt- und Nebenkampfplätze den Blick auf die Wahrheit verstellten. Diese wird wohl nie ans Tageslicht kommen.

Es ging um telefonische Beratungen im übersinnlichen, aber auch allzu menschlichen Bereich. Der 32-jährige Angeklagte betreibt ein Institut für Parapsychologie und verdient sich eine goldene Nase. Die 31-jährige Klägerin hatte während fast vier Jahren seine Beratungen über eine 0900er-Nummer beansprucht und insgesamt 414 840 Franken bezahlt.

Bis hierhin sind sich Hellseher und Klägerin ziemlich einig. Dann divergieren die Darstellungen diametral. Die Klägerin behauptete, er habe sie bedroht, weil sie ab Mitte 2003 seine Beratungsdienste nicht mehr habe in Anspruch nehmen wollen. Er lasse sie von Hunden zerfleischen, heure Chinesen an und veranlasse einen Mordauftrag.
Anonyme Anrufe und Drohungen

«Ich habe keinen Hund und kenne keine Chinesen», konterte der Angeklagte. Mitte 2003 begann ein Telefon- und Briefterror, der sich gewaschen hatte. Es ging so weit, dass beide Parteien bald paranoide Züge zeigten. Und so klagte die junge Frau, die offenbar weder einen Job noch eine Adresse besitzt, den Hellseher wegen mehrfacher Drohung ein. Übrigens: Die monatlichen Telefonrechnungen von rund 10 000 Franken sollen die Eltern bezahlt haben. Als Kriegschronist versuchte der Anwalt die einzelnen Eskalationsstufen zu rekonstruieren. Eine bizarre, bedrückende Geschichte sei es, sagte er. Anonyme Anrufe, Bespitzelungen, Drohungen, Beschimpfungen, Denunziation bei Verwandten und Bekannten, Belästigungen, Streuen von Gerüchten und der wüsten Dinge mehr. Der Terror hüben und drüben nahm groteske Formen an. Nur logisch, dass da auch die Lebenspartnerin des Hellsehers ins Kriegsgeschehen verwickelt und vom Pulverdampf benebelt wurde. Die Beziehung sei darob fast in die Brüche gegangen, sagte der Anwalt. Er attestierte seinem Mandanten, er habe sich auch unmöglich verhalten. Aber die Anschuldigungen bezüglich der inkriminierten Drohungen seien trotzdem haltlos. Deshalb verlangte er einen Freispruch und eine Genugtuung für die Belastung. Der Richter äusserte sich noch nicht dazu, er fällt das Urteil später.

Die gemeinsame Geschichte der Klägerin und des Hellsehers ist damit nicht beendet. Offenbar sind weitere Klagen geplant oder bereits hängig. Die Kriegschronik wird also fortgesetzt. Wir bleiben dran.

© Michael Kunkel, April 2003 - September 2008

letzter Update: Mittwoch, 26. November 2008